4. Wie wird Haarausfall diagnostiziert?
Die Frage nach den Diagnosewerkzeugen für Haarverlust ist nicht so überflüssig, wie es vielleicht zunächst scheint: Im Anfangsstadium einer Alopezie sind die Verluste noch keineswegs offensichtlich – zumal für den Dermatologen, der Sie ja im Regelfall nicht gesehen hat, als Sie noch volleres Haar hatten. Gerade jetzt aber hat eine rasch begonnene Behandlung die besten Aussichten darauf, Ihr gewohntes Erscheinungsbild zu konservieren.
Während zur Diagnose des androgenetischen Haarverlusts das Muster der beginnenden Haarausdünnung und ein Trichogramm bzw. Trichoscan ausreichen, gestalten sich Diagnose und Ursachensuche bei anderen Formen des Haarausfalls nicht selten schwierig. Hier haben Kopfhautbiopsien und Blutuntersuchungen ihren Platz – sowie das gründliche Anamnesegespräch mit Fragen nach selbst wahrgenommenen Auffälligkeiten, Medikamenteneinnahme und zurückliegenden schweren Erkrankungen.
Inhalt
4.1 Haartagebuch/Haarkalender
4.2 Haarwaschtest
4.3 Haarziehtest, Zupftest, Epilationstest
4.4 Trichogramm
4.5 Digitaler Haarscan (Trichoscan)
4.7 Blutuntersuchungen
4.8 Toxikologische Untersuchungen, Haaranalyse
4.1 Haartagebuch/Haarkalender
Wenn Sie sich Sorgen um Haarverluste machen, kann es sinnvoll sein, bereits vor dem ersten Termin beim Dermatologen ein paar Daten zu sammeln. So verschaffen Sie sich auch selbst mehr Klarheit über Ihr Problem. Zählen Sie zwei Wochen lang die Haare, die Sie täglich beim Kämmen/Bürsten verlieren, auf dem Kopfkissen finden etc. und notieren Sie die Zahlen mit Datum. Die ermittelten Werte werden natürlich immer eher Schätzwerte sein. 50 bis 100 verlorene Haare pro Tag gelten als normal. Bei besonders dichtem Haar können es durchaus auch mehr sein. Bei von Natur aus lichtem bzw. bereits gelichtetem Haar gilt eher der untere Grenzwert von 50.
Keine Lust zum Zählen? Bewahren Sie die Haare in beschrifteten Ziplock-Beuteln auf. Eventuell interessiert sich Ihr Dermatologe dafür.
4.2 Haarwaschtest
Den Haarwaschtest führen Sie quasi jedes Mal durch, wenn Sie Ihr Haar waschen. Wenn Sie einen Weg finden, die Menge der beim Waschen ausgegangenen Haare möglichst genau zu ermitteln, kann auch das für den Dermatologen recht aufschlussreich sein. Am besten funktioniert der Test mit einem in den Abfluss von Waschbecken oder Badewanne eingesetzten herausnehmbaren Sieb oder einem fest aufgelegten Filterpapier.
Ordnet der Dermatologe den Haarwaschtest an, wird er Sie eventuell bitten, den Waschvorgang erst nach einer Haarwaschpause von fünf Tagen durchzuführen – das dient der Standardisierung der Bedingungen. Aber auch wenn Sie öfter oder täglich Ihr Haar waschen, gibt die Menge der dabei ausgehenden Haare Aufschluss über verstärkten Haarausfall. Als normal gilt ein Verlust von bis zu 250 Haaren beim Haarwaschtest nach fünftägiger Haarwaschkarenz, und von 100 Haaren bei täglicher Haarwäsche.[1]
4.3 Haarziehtest, Zupftest, Epilationstest
Der Haarziehtest ist die schnellste und simpelste Art, wie ein Dermatologe oder Trichologe abschätzen kann, ob Sie aktuell verstärkt Haar verlieren. Dazu wird eine Strähne mit etwa 60 Haaren um Daumen und Zeigefinger geschlungen und sanft nach oben gezogen. Wenn dabei ohne Kraftaufwand und Schmerzen mehr als drei (manche sagen sechs) Haare ausreißen, gilt das als Hinweis auf ein Problem.[2]
Natürlich ist der Test ein bisschen ungenau: 60 Haare lassen sich schwerlich exakt abzählen, die Kraft, mit der gezogen wird, lässt sich nicht standardisieren, und wie lange vorher sich die Patienten ihre Haare gewaschen oder gebürstet haben, könnte ebenfalls das Ergebnis beeinflussen. Trotzdem: Fachleute, die schon zahlreiche Zupftests durchgeführt haben, bekommen ein zuverlässiges Gefühl für normale und problematische Testresultate.
Die Ursache des Haarausfalls lässt sich allein mit dem Epilationstest nicht eingrenzen, hier ist weitere Diagnostik nötig.
4.4 Trichogramm
Beim Trichogramm, der Haarwurzelstatusanalyse, wird mittels einer gummiüberzogenen Klemme eine schmale Reihe von 50 bis 100 Haaren ausgezogen, deren Wurzelbereich (also der verdickte Bereich, der im Follikel gesteckt hat) unter dem Mikroskop analysiert wird. Ein erfahrener Dermatologe kann dabei Haare, die sich in der Anagenphase <LINK> befinden, von Haaren in der Telogenphase unterscheiden (Anagenhaare haben meist noch ihre Wurzelscheide und sind am Ende golfschlägerartig gekrümmt, Telogenhaare haben keine Wurzelscheide und haben ein keulenartig verdicktes, gerades Ende) und so feststellen, wie viele Haare der Probe sich in den verschiedenen Stadien ihres Zyklus befinden. Aus diesen Zahlen lässt sich direkt ableiten, ob Sie sich Sorgen machen müssen oder nicht. Auch Anomalitäten im Bereich der Haarwurzel lassen sich mit dem Trichogramm erkennen.
Von den Terminalhaar-Follikeln der Kopfhaut befinden sich normalerweise um die 80 bis 90 Prozent in der Anagenphase, und um die 10 bis 20 Prozent in der Telogenphase (wegen der Kürze der Katagenphase fallen die Katagenhaare mit etwa einem Prozent kaum ins Gewicht). Ein Telogenhaar-Anteil von über 25 Prozent ist potentiell problematisch, ein Anteil von über 30 Prozent weist deutlich auf Probleme hin.
Über die Ursachen eines eventuell auftretenden Haarausfalls kann das Trichogramm wenig sagen. Treten verstärkt dystrophische (haarwurzelgeschädigte, im Wurzelbereich bleistiftartig zugespitzte) Haare auf, ist das jedoch als Hinweis darauf zu werten, dass kein (oder jedenfalls nicht ausschließlich) androgenbedingter Haarausfall vorliegt: Dystrophische Haare sind Haare, deren Follikel durch Medikamente, Bestrahlung oder Entzündungsprozesse stark geschädigt wurden.
Das Trichogramm liefert eine Momentaufnahme der Gesundheit der Haarwurzeln. Besonders nützlich ist es für die objektive Beurteilung von Therapieerfolgen bzw. Verläufen: Hierzu wird das aktuelle Trichogramm mit älteren Befunden verglichen.
4.4.1 Wissenswertes zur Durchführung
Meist werden zwei, manchmal auch drei Proben entnommen: eine oder zwei Probe(n) aus Problemzone(n) (also beispielsweise oberhalb der Stirn) und eine aus einer Zone mit normalem Haarwuchs (üblicherweise vom Hinterkopf) als Referenz.
Ja, das Ausreißen der Haare ist ein bisschen schmerzhaft. Dadurch, dass die Haare in einer Reihe ausgezupft werden und nicht in einem Büschel, hinterlässt die Untersuchung aber praktisch keine Spuren. Die Haarfollikel werden durch das Trichogramm nicht geschädigt; alle Haare wachsen wieder nach.
Vor dem Trichogramm-Termin sollten Sie Ihr Haar eine bestimmte Zeit lang (die meisten Ärzte sagen fünf Tage, wichtig ist jedoch in erster Linie, dass diese Frist für Trichogramme, die miteinander verglichen werden sollen, die gleiche ist) nicht waschen, frottieren, toupieren, kräftig bürsten oder langwierig frisieren – kurz, sie sollten alles vermeiden, wobei verstärkt (Telogen-)Haare ausgehen. Denn durch diese forcierte Verringerung der Anzahl der Telogenhaare würde Ihr Haar im Trichogramm gesünder erscheinen, als es ist. Darüber hinaus sollte das Haar möglichst einige Wochen lang nicht gefärbt, getönt, dauergewellt oder mit dem Lockenstab behandelt werden, um ein Abbrechen beim Herausziehen zu verhindern.
Die Haarprobe wird zwischen zwei Glasplättchen fixiert und entweder vom Dermatologen selbst oder in einem Labor unter dem Lichtmikroskop begutachtet. Die Ergebnisse erhalten Sie meist erst einige Tage später.
4.5 Digitaler Haarscan (Trichoscan)
Der digitale Haarscan liefert, ähnlich wie das Trichogramm, eine Momentaufnahme Ihrer Haarsituation. Als modernes, digitales Verfahren ist er etwa doppelt so teuer wie das Trichogramm und in etwa genauso aussagekräftig. Vorteile des Verfahrens sind seine Schmerzlosigkeit, die einfache digitale Archivierbarkeit der Aufnahmen und Ergebnisse (positiv für Verlaufskontrollen) sowie die Erfassung von Terminal- und Vellushaaren; außerdem müssen Sie vor der Untersuchung nicht auf Haarewaschen, Toupieren etc. verzichten.
Auch der Trichoscan dient in erster Linie der Bestimmung des Anteils der Anagen- und Telogenhaare – aber nicht durch Betrachtung der Haarwurzeln, sondern anhand des Wachstumsverhaltens der beiden Haartypen. Als zusätzliche Messgrößen liefert der Trichoscan die Haardichte sowie die Anteile von Terminal- und Vellushaaren.
Bei einem ersten kurzen Termin wird das Haar mittels einer aufgelegten Schablone an einer etwa einen Quadratzentimeter großen, kreisrunden Stelle der Kopfhaut rasiert. Nach drei Tagen müssen Sie wieder in der Hautarztpraxis erscheinen. (Sofern es lediglich um die Ermittlung der Haardichte und des Anteils von Vellus- und Terminalhaaren geht, kann die Messung auch am gleichen Tag wie die Rasur stattfinden.) Nun werden die an der rasierten Stelle nachgewachsenen Haare zur besseren Sichtbarkeit schwarz gefärbt. Mit einer digitalen Mikroskopkamera wird eine 20-fach vergrößerte Aufnahme der Rasurstelle angefertigt, die am Computermonitor dargestellt und von einer speziellen Software automatisch ausgewertet wird. Dabei werden die Gesamtzahl der Haare und die Anzahl der Anagenhaare ermittelt – letztere geben sich dadurch zu erkennen, dass sie in den drei Tagen seit der Rasur ein kleines Stückchen gewachsen sind. Zudem lassen sich anhand ihrer Dicke Terminal- und Vellushaare gut erkennen und ein erhöhter Anteil von Vellushaaren feststellen.
4.5.1 Wissenswertes zur Durchführung
Meist wird der Trichoscan an einer Stelle der Kopfhaut, an der Verdacht auf Haarausfall besteht, und zusätzlich an einer Referenzstelle durchgeführt. Der Trichoscan ist in der Tat vollkommen schmerzfrei; dafür hinterlässt er allerdings eine oder zwei rasierte Stellen, die zu verstecken gerade bei bereits gelichtetem Haar eventuell nicht immer ganz so einfach ist, wie es die Werbebroschüre versichert. Vorteilhaft daran ist, dass zur Verlaufskontrolle oder zur Beurteilung des Therapieerfolgs erfolgende nächste Messungen exakt an derselben Stelle durchgeführt werden können. Die Ergebnisse erhalten Sie unmittelbar nach der Untersuchung.
4.6 Kopfhautbiopsie
Bei einer Kopfhautbiopsie wird unter lokaler Betäubung eine kleine Probe der Kopfhaut inklusive Haare entnommen. Die Stelle wird anschließend mit wenigen Stichen sicher vernäht.
Die Kopfhautbiopsie ist bei Haarausfall keine Routineuntersuchung. Sie wird dann angesetzt, wenn Unklarheit über die Ursachen eines diffusen oder stellenweisen Haarausfalls besteht und wenn die Kopfhaut einen „verdächtigen“ Eindruck macht (Jucken, Exzeme, starke Schuppenbildung). Mit Hilfe der Kopfhautbiopsie können die Haarfollikel und das, sie umgebende, Gewebe in Gebieten, die den diagnostisch zu klärenden Haarausfall aufweisen, genau untersucht werden. So lassen sich Infektionen oder entzündliche Veränderungen von Kopfhaut und/oder Follikeln feststellen und entsprechend eine geeignete antimikrobielle bzw. antientzündliche Therapie einleiten.
4.6.1 Wissenswertes zur Durchführung
Die zu biopsierende Stelle wird mit einem Filzstift umrandet; das dort wachsende Haar wird bis auf wenige Millimeter gekürzt. Dann wird die Stelle mit einem in Desinfektionslösung getränkten Tupfer gesäubert und mit einem Lokalanästhetikum (z.B. Lidocain) injiziert. Zur Entnahme der Gewebeprobe verwenden manche Dermatologen ein Skalpell (diese Proben sind meist länglich geformt). Eine Biopsiestanze (meist wird die Stanze mit 4 Millimeter Durchmesser gewählt) entnimmt dagegen kreisrunde Proben. Die Gewebeprobe wird in Formaldehyd konserviert und an das Labor gesandt. Die Ergebnisse erhalten Sie meist innerhalb einiger Tage.
Die vernähte Entnahmestelle benötigt kein Pflaster. Manche Ärzte tragen eine antibiotische und/oder wundheilungsfördernde Salbe auf. Nach etwa einer Woche werden die Fäden gezogen. Da die Kopfhaut an der biopsierten Stelle durch das Vernähen zusammengezogen wird, ist nur eine kleine, sehr unauffällige Narbe zu erwarten.
4.7 Blutuntersuchungen
Bei unklarem Haarausfall kann ein Bluttest bei der Ursachensuche helfen. Standardmäßig werden dabei die Parameter CRP (C-reaktives Protein, erhöhte Werte sind Hinweis auf Entzündungsprozesse im Körper), Serumferritin (Depot-Eisen, erniedrigte Werte sind Hinweis auf Eisenmangel) und TSH (Schilddrüsenstimulierendes Hormon, erniedrigte bzw. erhöhte Werte sind Hinweis auf eine Schilddrüsenüber- bzw. unterfunktion) bestimmt. Für bestimmte Fragestellungen können weiterhin Leber- und Nierenwerte sowie die Spiegel von Zink, Folsäure, Kupfer, Selen oder Vitamin B12 aussagekräftig sein.
Bei Verdacht auf Autoimmunerkrankungen werden in der Regel auch die Spiegel bestimmter Autoantikörper (Antikörper, die gegen bestimmte körpereigene Gewebe gerichtet sind, z.B. Schilddrüsengewebe) bestimmt.
Bei Frauen mit früh auftretendem wahrscheinlich androgenetischem Haarausfall (insbesondere bei Begleitsymptomen, die ebenfalls auf erhöhte Androgenspiegel hinweisen, wie Unregelmäßigkeiten der Menstruation, schwere Akne, Körperbehaarung nach männlichem Muster) gehört eine Bestimmung des Sexualhormonstatus zur Diagnostik. Dabei werden unter anderem die Spiegel von Testosteron und SHGB (Sexualhormon-bindendes Globulin) im Blut gemessen.
4.8 Toxikologische Untersuchungen, Haaranalyse
Diese Untersuchungen gehören nicht zur Standard-Diagnostik bei Haarausfall. Gibt es einen begründeten Verdacht auf Vergiftungen, zum Beispiel mit Schwermetallen, kann eine toxikologische Untersuchung Aufschluss bringen. Schwermetalle (Blei, Cadmium, Thallium, Arsen) können im Blut und im Urin nachgewiesen werden.
Neben der Exposition am Arbeitsplatz, die mittlerweile nur noch für wenige Mitteleuropäer eine Rolle spielen dürfte, wurden in den letzten Jahren Schwermetallvergiftungen aus einer ganz unerwarteten „Ecke“ gemeldet: Quelle waren alternativmedizinische Präparate, wie sie in der traditionellen ayurvedischen Medizin Verwendung finden. Amerikanische Forscher fanden stark (bis zu 10.000-fach!) grenzwertüberschreitende Gehalte an Blei, Quecksilber und/oder Arsen in etwa einem Fünftel der über das Internet bestellbaren ayurvedischen Heilmittel (getestet wurde eine Stichprobe von 193 verschiedenen Präparaten)[3] – und erste Vergiftungsfälle sind auch in Deutschland bekannt geworden.[4]
Haaranalysen werden im Internet oder in bestimmten Apotheken vielfach angeboten. Die chemische Analyse einer Haarprobe auf ihren Gehalt an Mineralstoffen (z.B. Calcium, Magnesium, Schwefel), essentiellen Spurenelementen (z.B. Eisen, Zink, Mangan, Selen) und Schadstoffen (Blei, Quecksilber, Aluminium) soll nicht nur Aussagen über die Ursachen von Haarausfall, sondern auch viel weiterreichende Hinweise auf den allgemeinen Gesundheitszustand geben. Aufgrund der großen Schwankungsbreite der Stoffgehalte in gesundem Haar halten Schulmediziner Haaranalysen außerhalb eines eng gesteckten Rahmens (Nachweis von Drogen, Medikamenten und bestimmten Toxinen) für weitestgehend wertlos. Wenn Sie wissen möchten, ob Sie einen Vitamin- oder Mineralstoffmangel haben, ist eine Blutuntersuchung bestimmt aussagekräftiger – und wird eher von den Kassen übernommen.
Bei der Diagnostik von Haarverlusten kann eine Haaranalyse nur zu wenigen, sehr spezifischen Fragestellungen einen sinnvollen Beitrag leisten. Als Beispiel wird in Fachbüchern die Trichothiodystrophie genannt, eine erbliche Störung der Keratinsynthese, bei der das Haar viel weniger Schwefel enthält als normal.[5] Neben sehr brüchigem, kurzem Haar hat diese Störung aber in der Regel noch andere deutliche körperliche und neurologische Symptome.
Steht die Frage nach Toxinen im Raum, ermöglicht die Haaranalyse den Nachweis von im Blut oder Urin nicht mehr erkennbarer Belastungen in der Vergangenheit.